Strafzumessung und deren Fehler durch die Gerichte

Falsche Strafschärfungserwägungen

Eine weitere häufige Fehlerquelle ist die straferschwerende Heranziehung von Umständen, die hierfür nicht herangezogen werden dürfen.
Das sog. Doppelverwertungsverbot

Besonders häufig sind Verstöße gegen das in § 46 Abs. 3 StGB normierte Doppelverwertungsverbot, wonach Umstände, die schon Merkmale des gesetzlichen Tatbestandes sind, bei der Strafzumessung nicht berücksichtigt werden dürfen.
Zum Beispiel bei Sexualstraftaten

Es werden dem Angeklagten Delikte vorgeworfen, die als besonders verwerflich erscheinen, wie etwa Sexualstraftaten insbesondere zum Nachteil von Kindern. Es ist jedoch dem Gesetzgeber vorbehalten, die besondere Verwerflichkeit bestimmter Verhaltensweisen bei der Festsetzung des jeweiligen Strafrahmens zu berücksichtigen, während es den Gerichten verwehrt ist, zu Ungunsten des des sexuellen Missbrauchs von Kindern schuldigen Angeklagten zu werten, dass er durch sein Verhalten „die ungestörte sexuelle Entwicklung des Kindes“ gefährdet habe. Denn deren Schutz ist gerade der Grund dafür, dass die entsprechenden Strafvorschriften geschaffen wurden (vgl. BGH, Beschl. v. 28.8.2018 – 4 StR 320/18). Gleichfalls unzulässig ist es deshalb, dem Angeklagten anzulasten, er habe mit der Geschädigten als „völlig unbedarftem Kind als erste Missbrauchshandlung den Oralverkehr vorgenommen“ (BGH, Beschl. v. 26.9.2023 – 2 StR 336/23).

Auch darf nicht zur Begründung einer Strafschärfung herangezogen werden, dass die Geschädigten für den Angeklagten „nur Sexualobjekte“ seien, „deren von ihm erkannten entgegenstehenden Willen er rücksichtslos beiseiteschiebt“. Denn derartige Erwägungen beziehen sich auf Tatumstände, die zum Tatbild einer Sexualstraftat gehören, und können daher den Unrechtsgehalt einer Tat nicht erhöhen (BGH, Beschl. v. 21.6.2022 – 5 StR 110/22).

Beanstandet hat der BGH auch die strafschärfende Heranziehung des Umstands, dass der Täter einer Vergewaltigung ein von ihm mitgeführtes Messer „in unmittelbarer Zugriffsnähe“ getragen habe, obwohl dieser Umstand die Qualifikation des § 177 Abs. 7 Nr. 1 StGB erst begründet hat (BGH, Beschl. v. 31.1.2024 – 5 StR 2/24, NStZ-RR 2/24).

Zulässig ist es aber, tatsächlich eingetretene Schäden wie etwa erhebliche psychische Beeinträchtigungen beim Tatopfer strafschärfend zu würdigen. In diesem Fall verstößt die Strafzumessungserwägung, der Angeklagte habe „durch seine Taten eine unbefangene sexuelle Entwicklung der Geschädigten verhindert“, nicht gegen das Doppelverwertungsverbot (BGH, Beschl. v. 6.9.2022 – 6 StR 274/22).

b) Rauschgiftdelikte

Ein weiterer Bereich, in dem ein fehlerhafter Umgang mit dem Doppelverwertungsverbot immer wieder für Urteilsaufhebungen sorgt, ist das Betäubungsmittel- bzw. Cannabisstrafrecht. Hier darf im Falle des Handeltreibens nicht straferschwerend herangezogen werden, dass die Drogen auch tatsächlich in Umlauf gelangt seien. Denn der Handel erfasst typischerweise den Verkauf an andere Personen und damit auch, dass die Drogen in den Verkehr geraten (BGH, Beschl. v. 2.8.2022 – 4 StR 80/22). Auch die straferhöhende Berücksichtigung des Umstands, dass der Angeklagte selbst an Drogengeschäften partizipiert hat, stellt sich als rechtsfehlerhaft dar, da schon der Tatbestand des Handeltreibens voraussetzt, dass der Täter im Sinne eigennützigen Handelns von einem Streben nach Gewinn geleitet wird (BGH, Beschl. v. 14.3.2024 – 2 StR 49/24).
c) Sonstige Delikte

Darüber hinaus kommt es auch bei anderen Straftaten immer wieder zu Verstößen gegen das Doppelverwertungsverbot. So ist es etwa rechtsfehlerhaft, wenn bei einer Verurteilung wegen Totschlags zum Nachteil der Lebensgefährtin strafschärfend herangezogen wird, dass der Angeklagte durch seine Tat der gemeinsamen Tochter die Mutter genommen habe, denn hierdurch wird das mit nahezu jeder Tötung einhergehende Leid der Angehörigen berücksichtigt, was, sofern es sich nicht um besondere Auswirkungen der Tat handelt, keinen Strafschärfungsgrund darstellt (BGH, Beschl. v. 23.5.2023 – 2 StR 428/22, NStZ-RR 2024, 125).

Ebenso fehlerhaft ist es, wenn der Angeklagte des verbotenen Kraftfahrzeugrennens nach § 315d Abs. 1 Nr. 3 StGB schuldig gesprochen und ihm straferschwerend angelastet wird, dass er „die von der Polizei verfolgte Fahrt über eine erhebliche Fahrstrecke innerorts mit deutlich überhöhter Geschwindigkeit führte“, denn der Tatbestand setzt gerade voraus, dass sich der Kraftfahrzeugführer mit nicht angepasster Geschwindigkeit und grob verkehrswidrig und rücksichtslos fortbewegt hat, um eine höchstmögliche Geschwindigkeit zu erreichen (BayObLG, Beschl. v. 23.12.2022 – 202 StRR 119/22).

Auch ist es mit § 46 Abs. 3 StGB unvereinbar, wenn der wegen Bandendiebstahls verurteilten Angeklagten angelastet wird, sie habe sich „an organisierter Kriminalität beteiligt“. Denn hierdurch wird der bereits für die Verurteilung wegen einer Bandentat ausschlaggebende Grund nochmals verwertet (BGH, Beschl. v. 25.8.2021 – 6 StR 329/21).
d) Tatbegehung an sich

Darüber hinaus darf es dem Angeklagten auch nicht strafschärfend angelastet werden, dass er die Tat überhaupt begangen hat, ohne dass Besonderheiten vorliegen, die es rechtfertigen könnten, das Unrecht der Tat straferhöhend zu werten (BGH, Beschl. v. 3.8.2021 – 2 StR 217/21, StV 2022, 224). Es ist deshalb unzulässig, dem des versuchten Totschlags schuldigen Täter anzulasten, er habe die Tat „ohne erkennbaren Anlass für den Geschädigten“ begangen bzw. „ohne erkennbares Motiv zugestochen“ (BGH, Beschl. v. 4.10.2023 – 6 StR 387/23). Ebenso wenig darf es dem Angeklagten zum Nachteil gereichen, dass er „an einer schwerwiegenden körperlichen Erkrankung leidet, die ihn aber nicht davon abgehalten hat, die vorliegende Tat zu planen und auszuführen“ (BGH, Beschl. v. 5.11.2024 – 5 StR 483/24).
e) Allgemeiner Teil

Schließlich ist das Doppelverwertungsverbot auch bei deliktsübergreifenden strafbarkeitsbegründenden Umständen aus dem Allgemeinen Teil des StGB zu beachten (BGH, Beschl. v. 26.4.2022 – 4 StR 34/22, NStZ 2022, 736). Deshalb dürfen Umstände, die eine Garantenstellung i.S.d. § 13 Abs. 1 StGB erst begründen, nicht straferschwerend gewürdigt werden (BGH a.a.O.) und es verbietet sich auch, Tatbeiträge des Angeklagten, auf die das Tatgericht bereits die täterschaftliche Tatbegehung gestützt hat, zur Erhöhung der Strafe heranzuziehen (BGH, Beschl. v. 14.3.2023 – 2 StR 49/24).
2. Fehlende Milderungsgründe

Ein weiterer und, wie die zahlreichen Beanstandungen zeigen, auch recht häufiger Strafzumessungsfehler ist die strafschärfende Berücksichtigung fehlender Strafmilderungsgründe.

Zwar ist dem Angeklagten eine Strafmilderung zu versagen, wenn ein Milderungsgrund wie z.B. ein Geständnis nicht gegeben ist; wenn er Unrechtseinsicht und Reue vermissen lässt, kann sich dies für ihn zwar negativ auswirken, jedoch nur dahingehend, dass er sich einen Strafmilderungsgrund verbaut. Zu einer Strafschärfung darf fehlendes Bedauern dagegen nicht führen (OLG Hamm, Beschl. v. 27.4.2023 – 3 RVs 16/23). Denn es ist rechtsfehlerhaft, wenn es als straferschwerend gewertet wird, dass ein Grund zur Milderung nicht besteht.

Es ist deshalb unzulässig, es einem Betäubungsmittelhändler straferschwerend anzulasten, dass er selbst kein BtM-Konsument ist und er dementsprechend nicht durch eine Abhängigkeitsproblematik zur Finanzierung des eigenen Konsums zur Tatbegehung bewegt wurde. Das Motiv, Drogen erworben zu haben, um eigenen Konsum zu finanzieren, kann zwar Grund für eine Strafmilderung sein, weil Suchtdruck oder Angst vor Entzugsfolgen das Handeln des Täters beeinflussen können. Eine fehlende Abhängigkeit bzw. ein nicht gegebener akuter Suchtdruck dürfen aber nicht strafschärfend gewertet werden (BGH, Beschl. v. 7.7.2022 – 4 StR 50/22, NStZ-RR 2022, 343; Beschl. v. 14.3.2023 – 4 StR 475/22).

Ähnlich verhält es sich, wenn der Angeklagte die Tat (Handeltreiben mit BtM) „keineswegs aus einer Augenblickssituation heraus, sondern mit einem erkennbaren zeitlichen Vorlauf und nach sorgfältiger Überlegung“ begangen hat (BGH, Beschl. v. 21.7.2022 – 4 StR 213/22). Zwar darf es zugunsten des Angeklagten gewürdigt werden, wenn es sich um eine Spontantat handelt; ist dies nicht der Fall, darf hierauf aber keine Strafschärfung gestützt werden. Schließlich darf auch nicht strafschärfend gewertet werden, dass es sich bei dem gehandelten Betäubungsmittel nicht um eine sog. weiche Droge gehandelt hat (BGH, Beschl. v. 2.8.2022 – 4 StR 80/22; Beschl. v. 14.2.2024 – 2 StR 493/23).

Rechtlich bedenklich ist es auch, wenn dem Täter einer gefährlichen Körperverletzung strafschärfend angelastet wird, er habe dem Geschädigten nach der Tat „keine wirksame Hilfe“ zukommen lassen (BGH, Beschl. v. 21.5.2024 – 4 StR 121/24) bzw. keine Hilfe gerufen, sondern den Tatort verlassen (BGH, Beschl. v. 1.8.2024 – 4 StR 2/24, NStZ-RR 2024, 344). Gleiches gilt, wenn die Tat aus „absolut nichtigem Anlass“ begangen wurde und ihr auch keine Provokation vorausgegangen war (BayObLG, Beschl. v. 22.11.2023 – 202 StRR 86/23) oder wenn der Täter Möglichkeiten zu einem strafbefreienden Rücktritt vom Versuch ungenutzt lässt (BGH, Beschl. v. 23.5.2023 – 2 StR 428/22, StV 2024 [Ls.]). Schließlich darf bei einem Vermögensdelikt nicht zum Nachteil des Angeklagten gewertet werden, dass er nicht aus einer finanziellen Notlage heraus gehandelt (BGH, Beschl. v. 14.9.2022 – 5 StR 194/22, NStZ 2023, 103) oder den Schaden nicht wiedergutgemacht hat (OLG Karlsruhe, Beschl. v. 28.2.2024 – 1 ORs 340 SRs 86/24).

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